Samstagmorgen nach dem Langschläfer-Frühstück. Auf der To-do-Liste steht ein Gang in die City, frisches Gemüse aus der Region für ein „Pot au feu“ will auf dem Saarbrücker Bauernmarkt eingekauft werden. Der Weg zum St. Johanner Markt führt mich an der Stadtbibliothek vorbei, einem Abstecher kann ich da – wie so oft – nicht widerstehen.

Nur schnell ins Lesecafé, einen Zeitungsartikel nachlesen, dessen Headline mir vor Kurzem ins Auge gefallen ist, und einmal an den Regalen entlangstreifen. Die Glasvitrine zeigt thematisch zusammengestellte Bücher, diesmal zum Martin-Luther-Jahr, auf einem kleinen Regal stellen die Mitarbeiter einige Bücher aus, die gerade aus der Ausleihe zurückgekommen sind. Ein Buchtitel zieht mich magisch an: „Hausbesuche – Wie ich mit 200 Kuchen meine Nachbarschaft eroberte“.

Da kann eine Backschwester natürlich nicht dran vorbeigehen 🙂 Unweigerlich landet das Buch im Korb. Und einige andere auch. Sonntags hab‘ ich das Glück, dass das Wetter – trüb, grau und regnerisch – so gar nicht zu Aktivitäten im Freien einlädt. Also, ab unter die warme Decke und reingelesen in die Lektüre mit dem verheißungsvollen Titel.

Das Experiment, das Stephanie Quitterer 2011 während ihrer Elternzeit in Berlin durchführt, finde ich total spannend und – in Zeiten, in denen die Kultur des Spontanbesuchs sogar bei Verwandten und Freunden völlig zum Erliegen gekommen ist, keine noch so kurze Stippvisite ohne telefonische Vorankündigung und die Nachfrage, ob es auch wirklich gern gesehen sei und zeitlich passe – auch ganz schön mutig…! Sie will ihre Nachbarn kennenlernen, herausholen aus der Anonymität der Großstadt, nicht nur die im gleichen Haus oder dem direkt daneben, nein, gleich im ganzen Kiez. Spontan und unangemeldet, 200 Kaffeekränzchen in 200 Tagen, das ist das hehre Ziel ihrer Wette mit sich selbst.

Neugierig lasse ich mich mitnehmen bei ihrem Projekt, stehe in der Berliner Küche, teste Kuchenrezepte, die auch einer Backanfängerin gelingen sollen, zappele aufgeregt vor fremden Wohnungstüren und erwarte mit Herzklopfen die Reaktionen auf das Klingeln und die Einladung zu Kaffee und Kuchen. Full equiped ist Stephanie: Ihr Rotkäppchen-Korb enthält alles, was es für einen Kaffeeklatsch braucht. Sie lässt sich ein auf die fremden Nachbarn – ein Querschnitt durch alle Bevölkerungsschichten und Altersklassen – ihr Leben, ihre Geschichten, ihren Wohnstil. Schönes erlebt sie, aber auch Einsamkeit, Armut und Krankheit. Mit ihren Erfahrungen distanziert sich Stephanie Quitterer nach und nach vom Denken in Schubladen und allzu schnell getroffenen Vorurteilen. Einige   Freundschaften entstehen bei den Besuchen.

Mir machte es Spaß, sie von der Couch aus zu begleiten. Von ihren herrlich selbstironisch geschilderten Erlebnissen zu lesen, die Rezepte von Schweineohren über Heidelbeerbaiser bis Bananenkuchen zu sehen und über die Statistiken zu schmunzeln, wie z. B. die zehn Ausreden, die am häufigsten gebraucht wurden, ihre Missgeschicke beim Backen, die Gespräche, die mit Schnaps geführt wurden usw. usf. Auf 2893 Klingeln hat sie gedrückt, welch eine Leistung!

Und nachdenklich machte mich ihr Experiment. Wie viel Fremdheit umgibt uns in allernächster Nähe? Vor allem im Winter, wenn die Straßen leergefegt und die Fenster hell erleuchtet sind, mache ich mir meine Gedanken darüber, welche Menschen hinter den Häuserfassaden leben, ob sie sich gerade glücklich fühlen oder Kummer haben, gesund sind oder krank, alt und gebrechlich oder jung und voller Energie, alleine oder umgeben von einer kleinen oder großen Familie.

Offen bleibt die Frage: „Würde ich mich das auch trauen? Einfach so bei Fremden klingeln? Und würde ich umgekehrt meine Tür öffnen, wenn ein Fremder bei mir klingelt?“

Mein Fazit – Lesenswert. Und: Mit Kuchen öffnen sich die Türen zu den Herzen vieler Menschen 🙂

Backschwester Anette